Potsdamer Neueste Nachrichten (PNN) vom  2.2.2019

 

Fotograf Mahran Mourad in Potsdam: Angekommen im Übergang

 

In Deutschland entdeckt Mahran Mourad das Fotografieren. „Transiträume“ ist seine erste Ausstellung.

 

Steffi Pyanoe

 

Neue Ausstellung in der Potsdamer "Galerie M" mit Arbeiten von Mahran Mourad.

 

 

Potsdam - Häuser aus Steinzeug, mal einladend, mal unwirtliche Bauten oder Scherbenhaufen; Malerei, die zugige Industrielandschaften und dreidimensionale Stahlkonstruktionen zeigt – und daneben Street-Fotografie, in der sich endlich auch der Mensch findet: Die neue Ausstellung in der Galerie M greift das Thema Übergang auf. „Transiträume“ zeigt Malerei von Hannah Becher, Skulpturen von Rachel Kohn und Fotos von Mahran Mourad.

 

Es ist die erste Ausstellung des 38-jährigen Mahran Mourad, der 2015 aus seinem kurdischen Dorf im Norden Syriens nach Deutschland kam. Im Café im Flüchtlingscamp lernte er die Potsdamer Fotografin und Galeristin Karin Tondorf kennen, die bald seine Mentorin wurde und jetzt die Ausstellung kuratierte. Die Bilder von Mourad, die er im öffentlichen Straßenraum einfängt, spiegeln Augenblicke in jenem Transitraum wider, in dem alle nur vorübergehend präsent sind. Räume, die man durchquert, mal zielgerichtet, mal richtungslos. Ein Ort, der Begegnungen zulässt – oder ein Ort der Flüchtigkeit.

 

Heimlich auf den Auslöser drücken

 

Das passt zu der Art, mit der sich Mourad dem Thema nähert. Vorsichtig und zurückhaltend nimmt er seine Bilder auf. Manchmal wartet er eine Stunde auf einen bestimmten Moment, eine bestimmte Konstellation. Am liebsten drückt er heimlich auf den Auslöser, wie aus einem Versteck heraus. Er möchte nicht beobachtet werden. Das hat auch mit seiner Herkunft aus einem islamischen Land zu tun.

 

Fotografie wird im islamischen Raum nicht als Kunst angesehen. In seinem Heimatdorf wurde nur bei Familienfeiern und Festen fotografiert, auch Mourads Vater hatte eine Kamera. Wenn der Vater dann von Brautpaaren und Gästen Fotos machte, lief der Sohn mit und fotografierte bald selbst. Später assistierte er einem professionellen Fotografen. „Aber das hat mich nicht zufrieden gemacht. Ich wollte raus auf die Straße, das Leben dort fotografieren.“ Mourad ahnte, dass man mit einer Kamera noch viel mehr machen kann, als eine Familienchronik zu führen. In Syrien allerdings ist Straßenfotografie ein Ding der Unmöglichkeit, sagt Mourad, vor allem aus religiösen Gründen. „Die Menschen wollen keinesfalls ins Bild, auch nicht von hinten.“ Doch menschenlose Landschaften, Tiere oder Blumen empfand er nicht als Alternative. Das sei doch Postkartenfotografie, sagt Mourad. Er kaufte sich trotzdem noch in Syrien eine eigene Kamera, einen einfachen analogen Apparat. Ein Monatsgehalt ging dafür drauf, damals arbeitete er in einem Restaurant in Damaskus.

 

Jetzt, in Deutschland angekommen, entdeckt er das Fotografieren noch einmal neu. Es ist vor allem die Großstadt, die ihn fasziniert. Das Gewimmel auf der Straße, die Bewegung der Menschen. Die zufälligen Bildausschnitte, die sich ergeben zwischen Architektur, verschiedenen Tiefen und Winkeln, Licht, Schatten, Spiegelungen. Dass für ihn hier alles neu ist, nutzt Mourad als Vorteil. Sein Blick auf das, was sich ihm bietet, ist noch nicht abgenutzt. Ihm fällt manches auf, was andere übersehen. Der Umzugswagen mit dem riesigen Bild einer Frau, die sich in einer Wanne voll Badeschaum räkelt. Eine rote Absperrkordel, hinter der Touristen am Checkpoint Charly laufen. Eine Frau in spanischer Tracht, Schwarz und knalliges Rot vor einem grauen, übergroßen Graffito der East Side Gallery. Gegensätze ziehen ihn an. 

 

Und Emotionen. Das Bild, das eine junge Tänzerin in einem Demonstrationszug zeigt, ihre Augen geschlossen, zwischen Ekstase und Versunkenheit, hat den Titel „frei“ bekommen. Freiheit, die er hier neu definiert. Für sich selbst: „Als Kurde bist du in Syrien nie richtig frei“, sagt Mourad. Und für die Frau. Dass die Frauen in Europa so frei und unabhängig sind, tanzen, wann sie wollen, in allen Berufen arbeiten, nicht nur zu Hause, das erlebt er gerade sehr bewusst. Es gehört in sein thematisches Portfolio – aber was für ein Bild es am Ende wird, bestimmt der Moment. „Mein Kopf sagt, schau dir mal diese Ecke oder diese Situation an. Und mein Bauch sagt, in welchem Moment ich draufdrücken soll.“

 

Eine Richtung. „Grau und rot“ von Mahran Mourad entstand an der East Side Gallery.Repro: Andreas Klaer

 

In der künstlerischen Bildsprache ist dabei der Einfluss seiner Mentorin erkennbar. Auch Karin Tondorf hat, als KT Blumberg, diesen speziellen Tunnelblick entwickelt, bei dem scheinbar Zufälliges zu einer neuen Komposition zusammenwächst. „Ja, wir haben einen ähnlichen Blick“, sagt Mourad.

 

Mourad würde gerne noch viel mehr reisen

 

Gerne würde er seinen Blick noch erweitern. Sobald er einen deutschen Pass hat, möchte er in die Nachbarländer reisen, nach Frankreich zum Beispiel, und dort die Städte erkunden. In Deutschland hat er Hamburg, Köln und Leipzig besucht. Er mag die Altstädte. Den Alltag. Das Unspektakuläre. Das Reisen darf aber nicht viel kosten: „Ich fahre meistens noch spät am selben Tag nach Hause, damit ich nicht übernachten muss.“

 

Unterwegs im Transitraum – auch hier in Deutschland. Angekommen ist Mahran Mourad nur zum Teil. Wohin es für ihn einmal gehen wird – er weiß es nicht. Er hat eine kleine Wohnung in Potsdam und arbeitet im Berliner Café Lawrence, ein arabisches Restaurant und Integrationsprojekt. Berlin, das ist immer wieder Fundgrube für Mourads inneres Auge. Am Tag der Einheit hat er erlebt, wie die Deutschen mit ihrer Vergangenheit umgehen. Seine eigene Geschichte lässt ihn auch nicht los. „Ich frage mich oft, was aus den Kindern wurde, mit denen ich früher im Dorf spielte“, sagt er. In der Ausstellung gibt es eine Haus-Skulptur, die mit einem weißen Tuch umwickelt ist. „Für mich ist das ganz klar ein Leichentuch.“

 

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